Studienfahrt — Bericht aus Prag
- 6. November 2018
Montag, sieben Uhr morgens, vor der Tür eines Prager Hotels. Ein Reisebus spuckt 45 müde Schüler samt Gepäck und drei Lehrern aus, Koffer sammeln sich auf dem noch leeren Bürgersteig. Die Sonne versteckt sich hinter dem wolkenverhangenen Himmel, in der Ferne sieht man das goldene Dach des Nationalmuseums. Erste Impressionen aus Prag, die die meisten jedoch aufgrund der achtstündigen Nachtfahrt kaum registrieren. Die menschlichen Bedürfnisse Hunger und Schlaf melden sich zuerst.
Kein wirklich dynamischer Start, den die Kursfahrt 2018 hier hinlegt, obwohl es doch eigentlich die letzte wirklich entspannte Woche ist, bevor Klausuren und Hausaufgaben den Alltag wieder übernehmen. Aber nachdem der fehlende Schlaf der letzten Nacht nachgeholt wurde, wacht die Truppe wieder etwas auf. In Kleingruppen durchstreifen wir die Stadt, die meisten sind auf der Suche nach Restaurants, denn das letzte warme Essen liegt schon etwas zurück.
Am nächsten Morgen sind die Augenringe von der Busfahrt verschwunden, dafür sind bei einigen neue hinzugekommen. Pünktlich stehen trotzdem alle vor ‘m Hotel, denn heute steht eine Stadtführung durch die Altstadt Prags und das jüdische Viertel an. Die Tour führt uns über den Wenzelsplatz durch die Altstadt und mit einem Abstecher zur astronomischen Uhr, die leider hinter einem Baugerüst verschwunden ist, erreichen wir schließlich unser eigentliches Ziel: das jüdische Viertel mitsamt seinen vielen Synagogen, von denen wir einige besuchen. Besonders beeindruckend ist das jüdische Museum mit dem angeschlossenen Friedhof. Die ehemalige Synagoge dient heute als Gedenkstätte für die tschechischen Opfer des Holocausts, deren Namen auf den Wänden verewigt sind.
Nachdem die Führung vor der Spanischen Synagoge endet, haben wir den Rest des Tages frei. Die Gruppe zerstreut sich wieder, die Interessen sind ganz unterschiedlich, im Hotel bleiben will jetzt aber niemand. Besonders abends zeigt sich die Stadt nochmal von einer ganz anderen Seite, die Menschenströme reißen gar nicht ab. Im Dunkeln stehen wir auf der randvollen Karlsbrücke und blicken unserem nächsten Ziel entgegen: der Prager Burg, die hell erleuchtet über der Stadt wacht.
Am nächsten Tag tauschen wir die Perspektiven. Nun stehen wir hoch über der Stadt, die sich wie verstreute Legosteine vor uns ausbreitet. Zusammen mit vielen anderen Touristen drängen wir uns durch die Gassen rund um die Prager Burg, laufen durch Folterkeller und besuchen Kafkas altes Haus. Eine ordentliche Portion geschichtliche Information kann hier gar nicht fehlen, besonders die Prager Fensterstürze werden häufig erwähnt. Einen starken Kontrast kriegen wir trotzdem geboten, denn beim Verlassen der Burg werden wir plötzlich auf die Seite gewunken. Indische Musik dröhnt aus Lautsprechern – wir sind mitten in den Dreh eines Bollywood-Films hineingelaufen. Nachdem sich die Gruppe in der Menschentraube, die sich mittlerweile gebildet hat, wiedergefunden hat, geht es weiter Richtung Karlsbrücke, unser letzter Stopp für heute. Nach zwei Tagen Stadterkundung haben einige auch schon etwas abgelaufene Schuhe. Die geschichtliche Bedeutung, die diese Stadt in sich trägt, haben wir zwar nur oberflächlich kennengelernt, aber der kleine Crash-Kurs tat besonders dem Geschichts-LK gut.
Nach zwei Tagen lockerer Erkundung, Freizeit und Entspannung erwartet uns am letzten Tag etwas komplett anderes. Die Gruppe begibt sich auf einen ganztägigen Ausflug nach Theresienstadt, das bekannte jüdische Ghetto, dessen angeschlossenes Gefängnis – die heutige Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers – besonders während des zweiten Weltkriegs für den Tod von tausenden Juden und politischen Gefangenen verantwortlich war. Auch Gavrilo Princip, der Attentäter von Sarajewo, der mit seinem Anschlag auf das Leben des österreichischen Thronfolgers den ersten Weltkrieg auslöste, starb hier nach dreijähriger qualvoller Haftstrafe.
Nach dem Trubel in Prag kommt einem Theresienstadt unglaublich still vor, obwohl auch hier mehrere Reisebusse parken. Die Sonne strahlt zwar vom Himmel, warm wird einem hinsichtlich der Gräueltaten, die hier verübt wurden, trotzdem nicht. Nach der Begehung der Kleinen Festung fahren wir in das ehemalige Ghetto und haben Zeit, uns eine Ausstellung über die Männer, Frauen und Kinder, die hier aufwuchsen, lebten, arbeiteten und oftmals auch starben, anzusehen. Die Busfahrt nach Hause verläuft dementsprechend still, denn diese Eindrücke müssen erstmal verarbeitet werden. Wir alle durften eine Erfahrung machen, die nicht nur beeindruckend, sondern unglaublich wichtig ist. Es gilt, diejenigen zu ehren, die ihr Leben für etwas ließen, was sich in unsere Geschichte nicht mehr wiederholen darf. Diese Verantwortung spüren wir besonders, während draußen Felder an uns vorbeiziehen.
In Prag geht es weiter, denn obwohl der Tag bei weitem nicht so sorglos war wie der Rest der Woche, haben alle zu tun: Koffer packen. Unsere Kursfahrt ist vorbei, am nächsten Morgen geht es wieder nach Hause. Der letzte Abend wird ausgenutzt, im Bus kann man ja schlafen, aber Prag werden die meisten so schnell nicht mehr wiedersehen.
Den letzten Abend sieht man uns auch an, als wir morgens in den Bus steigen. Im Gegensatz zur Spannung, die bei der Abfahrt herrschte, dominiert hier die Müdigkeit. Die verschiedenen Erfahrungen geistern noch im Kopf herum, während wir den kommenden Wochen entgegenblicken: Klausuren stehen an, Hausaufgaben müssen noch erledigt werden und über allem schwebt schon etwas bedrohlich das Abitur im nächsten März. Ein paar schöne Erinnerungen für die stressige Zeit, die vor uns liegt, haben wir aber auf jeden Fall gesammelt.
Bericht: Lilli Steffens, Fotos: Weena Titze