Der israelische Autor Ron Segal zu Gast in der Elly-Heuss-Schule
- 26. Januar 2025
“Diskutieren heißt auch immer, dass sich beide Partner in ihrer Haltung aufeinander zubewegen müssen, damit das funktioniert” — so umschrieb es Ron Segal, ein israelischer Autor, der seit mehr als zehn Jahren in Berlin lebt und in der Aula der Elly-Heuss-Schule zwei Fliegen mit einer Klappe schlug: Er leistete einen Beitrag zum Thema “Erinnerungskultur” und er scheute keine Fragen und Diskussion um das Thema Judentum in Deutschland und den Krieg in Gaza.
Der erste Teil knüpft an einer Tradition der Elly-Heuss-Schule an, bei der es um die Zeitzeugenschaft von Holocaust-Überlebenden geht. Ob Gerty Meyer-Jörgensen oder Germaine Shaffran, beide Zeitzeuginnen, die an unserer Schule zu Gast waren, sind bereits tot. Noch vor der Pandemie berichtete mit Ursula Vaupel eine ehemalige Schülerin über ihre Zeit als fanatisches BDM-Mädchen und ihren Bewusstseinswandel in Auseinandersetzung mit diesem Thema.
Nun diesmal war also ein Vertreter der dritten Generation, der einen Roman geschrieben hat, zu Gast. Über einen (fiktiven) Schriftsteller namens Adam Schumacher, der jedoch an Demenz leidet und sich immer wieder seiner Vergangenheit versichern muss. Segals Roman „Jeder Tag wie heute“ erschien 2017 und ist heute leider nicht mehr im Buchhandel lieferbar. Umso besser, dass der Autor zwanzig Minuten daraus vorlas. Er führte durch den Text von der Verhaftungswelle bis zur Befreiung eines Konzentrationslagers. Ron Segal hat im Roman viele Erfahrungen seiner Großeltern verarbeitet, bis hin zum Tipp eines mitgefangenen Arztes, das Corned Beef der Amerikaner nicht herunterzuschlingen.
Einige Schülerfragen richteten sich dann auch auf den Roman und den geplanten animierten Film, vom dem er einen Trailer gezeigt hat. Segal meinte, ein Buch zu schreiben sei vergleichsweise einfach im Vergleich zum Film, wo man ein Millionenbudget und eine Menge Fachleute brauche. Auch zur Thematik der Demenz als Symbol und stilistischem Mittel äußerte er sich.
Ganz bewusst öffnete Segal den Horizont und forderte die fast 250 Schülerinnen und Schüler in der Aula auf, auch aktuelle Fragen zu stellen. Anwesend waren fast die kompletten Jahrgänge der Qualifikationsphase sowie der LK Geschichte der Martin-Niemöllerschule. Dieser zweite Teil war von sehr umsichtigen und klugen Fragen geprägt, was aber auch zeigte, welches Niveau der Autor vorgelegt hatte: Seine Antworten und Positionen waren sehr abwägend und immer von der menschlichen Perspektive geprägt. Auf der einen Seite ging es um das heutige Deutschland und Israel. Ob er Angst habe, beispielsweise. Als Israeli lebe er zeitlebens mit Anspannungen, auch gebe es mulmige Situationen, jedoch habe er immer gute Erfahrungen im konkreten Austausch gemacht. Dass Deutschland in besonderem Maße mit Israel solidarisch ist, fand er gut und wichtig, wegen der Vergangenheit, aber nicht nur.
Dass nicht jeder in Israel das Vorgehen der Armee teilt, äußerte Segal auch sehr deutlich. Er sei froh, dass er in Berlin lebe und nicht als Reservist vor die Frage gestellt werde, in einen Einsatz zu müssen. Drei Jahre Militärdienst habe er als junger Mann geleistet, Frauen ausnahmslos zwei Jahre. Israel habe eine andere Beziehung zum Thema Bedrohung. In Hinblick auf den Radikalismus auf beiden Seiten zeigt er sich traurig, dass immer die Extremen den Diskurs dominierten und Fakten schaffen. Arafat, Sharon und Clinton hätten den Kompromiss gewollt, seien aber von den Extremisten vor sich hergetrieben worden, bis die gemäßigten politischen Bewegungen an Boden verloren hätten – jetzt auch in den USA.
Die Schülerinnen und Schüler zeigten sich aufmerksam und konzentriert. Die Fragen waren empathisch und durchaus angemessen und nachvollziehbar. Nicht jeder mag jede Meinung geteilt haben, es gab jedoch Respekt vor jemandem, der sich angeboten und geöffnet hat. Dies zeigte auch Segals Schlusswort, dass er nämlich auf den menschlichen Austausch setze und er auch mit den Mitteln der Kunst Beiträge zur Verständigung leisten wollte. Das haben alle in der Aula der Elly-Heuss-Schule gemerkt und warm applaudiert.
Am Abend war Ron Segal zu Gast bei der jüdischen Gemeinde. Da er bereits am Vormittag angereist war, bestand die Möglichkeit, ihn in eine Wiesbadener Schule einzuladen. Vermittelt durch das Stadtarchiv und die Landeszentrale für politische Bildung haben wir ihn gern bei uns begrüßt. Auch in Zukunft wollen wir an unserer Schule das Nachdenken über diese Phase der Geschichte intensivieren, auch und gerade im Umfeld des Gedenktages an die Befreiung von Auschwitz am 27. Januar 1945, also heute vor achtzig Jahren.
Fotos: Uta Becker