Der israelische Autor Ron Segal zu Gast in der Elly-Heuss-Schule

Dis­ku­tie­ren heißt auch immer, dass sich bei­de Part­ner in ihrer Hal­tung auf­ein­an­der zube­we­gen müs­sen, damit das funk­tio­niert” — so umschrieb es Ron Segal, ein israe­li­scher Autor, der seit mehr als zehn Jah­ren in Ber­lin lebt und in der Aula der Elly-Heuss-Schu­le zwei Flie­gen mit einer Klap­pe schlug: Er leis­te­te einen Bei­trag zum The­ma “Erin­ne­rungs­kul­tur” und er scheu­te kei­ne Fra­gen und Dis­kus­si­on um das The­ma Juden­tum in Deutsch­land und den Krieg in Gaza.

Der ers­te Teil knüpft an einer Tra­di­ti­on der Elly-Heuss-Schu­le an, bei der es um die Zeit­zeu­gen­schaft von Holo­caust-Über­le­ben­den geht. Ob Ger­ty Mey­er-Jör­gen­sen oder Ger­maine Shaf­fran, bei­de Zeit­zeu­gin­nen, die an unse­rer Schu­le zu Gast waren, sind bereits tot.  Noch vor der Pan­de­mie berich­te­te mit Ursu­la Vau­pel eine ehe­ma­li­ge Schü­le­rin über ihre Zeit als fana­ti­sches BDM-Mäd­chen und ihren Bewusst­seins­wan­del in Aus­ein­an­der­set­zung mit die­sem Thema.

Nun dies­mal war also ein Ver­tre­ter der drit­ten Gene­ra­ti­on, der einen Roman geschrie­ben hat, zu Gast. Über einen (fik­ti­ven) Schrift­stel­ler namens Adam Schu­ma­cher, der jedoch an Demenz lei­det und sich immer wie­der sei­ner Ver­gan­gen­heit ver­si­chern muss. Segals Roman „Jeder Tag wie heu­te“ erschien 2017 und ist heu­te lei­der nicht mehr im Buch­han­del lie­fer­bar. Umso bes­ser, dass der Autor zwan­zig Minu­ten dar­aus vor­las. Er führ­te durch den Text von der Ver­haf­tungs­wel­le bis zur Befrei­ung eines Kon­zen­tra­ti­ons­la­gers. Ron Segal hat im Roman vie­le Erfah­run­gen sei­ner Groß­el­tern ver­ar­bei­tet, bis hin zum Tipp eines mit­ge­fan­ge­nen Arz­tes, das Cor­ned Beef der Ame­ri­ka­ner nicht herunterzuschlingen.

Eini­ge Schü­ler­fra­gen rich­te­ten sich dann auch auf den Roman und den geplan­ten ani­mier­ten Film, vom dem er einen Trai­ler gezeigt hat.  Segal mein­te, ein Buch zu schrei­ben sei ver­gleichs­wei­se ein­fach im Ver­gleich zum Film, wo man ein Mil­lio­nen­bud­get und eine Men­ge Fach­leu­te brau­che. Auch zur The­ma­tik der Demenz als Sym­bol und sti­lis­ti­schem Mit­tel äußer­te er sich.

Ganz bewusst öff­ne­te Segal den Hori­zont und for­der­te die fast 250 Schü­le­rin­nen und Schü­ler in der Aula auf, auch aktu­el­le Fra­gen zu stel­len. Anwe­send waren fast die kom­plet­ten Jahr­gän­ge der Qua­li­fi­ka­ti­ons­pha­se sowie der LK Geschich­te der Mar­tin-Niem­öl­ler­schu­le. Die­ser zwei­te Teil war von sehr umsich­ti­gen und klu­gen Fra­gen geprägt, was aber auch zeig­te, wel­ches Niveau der Autor vor­ge­legt hat­te: Sei­ne Ant­wor­ten und Posi­tio­nen waren sehr abwä­gend und immer von der mensch­li­chen Per­spek­ti­ve geprägt. Auf der einen Sei­te ging es um das heu­ti­ge Deutsch­land und Isra­el. Ob er Angst habe, bei­spiels­wei­se. Als Israe­li lebe er zeit­le­bens mit Anspan­nun­gen, auch gebe es mul­mi­ge Situa­tio­nen, jedoch habe er immer gute Erfah­run­gen im kon­kre­ten Aus­tausch gemacht. Dass Deutsch­land in beson­de­rem Maße mit Isra­el soli­da­risch ist, fand er gut und wich­tig, wegen der Ver­gan­gen­heit, aber nicht nur.

Dass nicht jeder in Isra­el das Vor­ge­hen der Armee teilt, äußer­te Segal auch sehr deut­lich. Er sei froh, dass er in Ber­lin lebe und nicht als Reser­vist vor die Fra­ge gestellt wer­de, in einen Ein­satz zu müs­sen. Drei Jah­re Mili­tär­dienst habe er als jun­ger Mann geleis­tet, Frau­en aus­nahms­los zwei Jah­re. Isra­el habe eine ande­re Bezie­hung zum The­ma Bedro­hung. In Hin­blick auf den Radi­ka­lis­mus auf bei­den Sei­ten zeigt er sich trau­rig, dass immer die Extre­men den Dis­kurs domi­nier­ten und Fak­ten schaf­fen. Ara­fat, Sharon und Clin­ton hät­ten den Kom­pro­miss gewollt, sei­en aber von den Extre­mis­ten vor sich her­ge­trie­ben wor­den, bis die gemä­ßig­ten poli­ti­schen Bewe­gun­gen an Boden ver­lo­ren hät­ten – jetzt auch in den USA.

Die Schü­le­rin­nen und Schü­ler zeig­ten sich auf­merk­sam und kon­zen­triert. Die Fra­gen waren empa­thisch und durch­aus ange­mes­sen und nach­voll­zieh­bar. Nicht jeder mag jede Mei­nung geteilt haben, es gab jedoch Respekt vor jeman­dem, der sich ange­bo­ten und geöff­net hat. Dies zeig­te auch Segals Schluss­wort, dass er näm­lich auf den mensch­li­chen Aus­tausch set­ze und er auch mit den Mit­teln der Kunst Bei­trä­ge zur Ver­stän­di­gung leis­ten woll­te. Das haben alle in der Aula der Elly-Heuss-Schu­le gemerkt und warm applaudiert.

Am Abend war Ron Segal zu Gast bei der jüdi­schen Gemein­de. Da er bereits am Vor­mit­tag ange­reist war, bestand die Mög­lich­keit, ihn in eine Wies­ba­de­ner Schu­le ein­zu­la­den. Ver­mit­telt durch das Stadt­ar­chiv und die Lan­des­zen­tra­le für poli­ti­sche Bil­dung haben wir ihn gern bei uns begrüßt. Auch in Zukunft wol­len wir an unse­rer Schu­le das Nach­den­ken über die­se Pha­se der Geschich­te inten­si­vie­ren, auch und gera­de im Umfeld des Gedenk­ta­ges an die Befrei­ung von Ausch­witz am 27. Janu­ar 1945, also heu­te vor acht­zig Jahren.

Fotos: Uta Becker

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